Unser Fenster nach Russland: Zwischen Drohne und Drohung

Transkript anzeigen

00:00:10: Heute ist der dreißigste September, der letzte Tag des Monats und das bedeutet, dass wir im Podcast Freirede der Tatspanter Stiftung sprechen.

00:00:19: Wir blicken dorthin, wo der Zugang zur Information immer schwieriger wird, nach Russland und Belarus.

00:00:27: Mein Name ist Tigran Petrosian und ich leite die Osteuropa-Projekte der Tatspanter Stiftung.

00:00:35: Drohnen über Polen und Rumänien, Kampfjets über Estland, Russland testet mit gezielten Luftraumverletzungen die Reaktionen der NATO-Staaten.

00:00:45: In der EU wächst die Sorge, geht es dabei nur um militärische Provokation oder auch um psychologische Kriegsführung.

00:00:54: Denn Moskau scheint ein Ziel Besonderes zu verfolgen, Angst verbreiten.

00:01:05: Hier im Baltikum, näher an Russland und mit einer besonderen historischen Erfahrung aus der Zeit der Sowjet-Herrschaft, ist die Perspektive auf den Krieg, Bedrohung und Sicherheit oft eine andere.

00:01:19: Im Media Hub in Riga bringt die Tatspantaschtiftung kritische Stimmen aus Russland und Belarus im Exil zusammen, Journalistinnen, Aktivistinnen und Künstlerinnen.

00:01:30: Auch meine Gäste gehören heute dazu.

00:01:38: Gottsemmarova, sie ist russische Journalisten in Estland, Tallinn.

00:01:43: Alexander Wostrov, präsentiert Pellarussische Investigativzentren in Vilnius, Litauen.

00:01:50: Und Maria Sabunaeva, Psychologin aus Berlin.

00:01:55: Hallo.

00:01:56: Hallo.

00:01:57: Hallo.

00:01:58: Guten Tag.

00:02:00: Arena zuerst, bitte.

00:02:15: Zunächst möchte ich sagen, dass es sich um Mik-EinundReißig-Kampfjets handelte, nicht um Drohnen.

00:02:20: Deswegen kann man sie nicht hören, aber die Nachricht verbreitet sich sehr schnell in ganz Estland.

00:02:25: Sofort berichteten alle Medien darüber und das von Militärfahrzeuge und Jeeps herum.

00:02:30: Insgesamt herrscht eine gewisse Panik in der Hauptstadt Tallinn, weil in den Lebensmittelgeschäften sofort darüber gesprochen wurde.

00:02:36: Ich war beim Friseur und auch dort sprachen die Friseure darüber.

00:02:40: Mehrere meiner Bekannten in Estland schickten mir gleichzeitig links zu den Nachrichten, obwohl ich bereits informiert war.

00:02:46: Die Atmosphäre war also insgesamt angespannt.

00:02:56: Aber was haben Sie dabei gefühlt?

00:02:59: Was bedeutet das für Sie?

00:03:01: War es einfach nur wieder einmal allselbe?

00:03:04: Hatten Sie Angst, dass jetzt etwas passieren würde?

00:03:15: Zunächst hatte ich das Gefühl, dass es sich um nichts Ernstes handelte, da es bereits der vierte Fall im Jahr twenty-fünfundzwanzig war, in dem russische Flugzeuge den ästnischen Luftraum überflogen.

00:03:25: Als ich mich jedoch näher mit den Nachrichten befasste, wurde mir klar, dass dieser Fall doch etwas Besonderes war.

00:03:31: Erstens handelte es sich um Kampfjets vom Typ Mik-EinundReißig, wie ich bereits gesagt habe.

00:03:36: In allen vorherigen Fällen war es ein Flugzeug.

00:03:39: Diesmal waren es drei.

00:03:41: Und es handelt sich ganz sicher um Kampfflugzeuge.

00:03:44: Das ist zumindest eine Machtdemonstration und ein deutliches Signal stärker als alle vorherigen.

00:03:50: Außerdem wird diese Nachricht aus Estland durch die Tatsache relativiert, dass bereits am zehnten September massenhaft Drohnen den polnischen Luftraum überflogen haben.

00:03:59: All diese Provokationen folgten, wie man heute allgemein annimmt, dicht aufeinander und wurden dabei immer ernster.

00:04:05: Betrachtet man diese Provokationen zusammen mit den Verletzungen des Luftraums verschiedener Länder insgesamt.

00:04:11: Russland scheint immer weiter versuchen zu wollen, die Grenze zu verschieben.

00:04:15: Mal mit einer Drohne, mal mit zwei, mal mit einem Kampfflugzeug.

00:04:19: Und es scheint auf die Reaktion zu warten, die kommen wird.

00:04:33: Eine ähnliche Situation hat sich im vergangenen Monat auch in Litauen ereignet.

00:04:38: Auch dort fliegen regelmäßig Drohnen aus Belarus ein.

00:04:41: Eine dieser Drohnen wurde anschließend auf einem Militärgelände gefunden.

00:04:45: Dies geht aus Berichten lokaler Medien und Fotos hervor.

00:04:50: Es handelt sich nicht um eine Schalddrohne des iranischen Herstellers, sondern um eine billigere Variante, die aus Sperrholz und weniger teuren Materialien hergestellt wurde.

00:05:00: Es ist eher für militärische Zwecke gedacht, um die Luftabwehr zu überlasten und Schwachstellen in der Verteidigung des Gegners aufzudecken.

00:05:09: Dies ist nicht die einzige Operation, an der Russland im Litauen und Umgebung beteiligt war.

00:05:15: Es gab zahlreiche Berichte über die Störung des GPS-Signals.

00:05:19: So wurde beispielsweise kürzlich über ein Flugzeug berichtet, an Bord dessen sich verschiedene Delegationen befanden und das über Kalingrad flog, wobei das Signal gestört wurde.

00:05:31: Auch Seefahrer in der Ostsee berichten, dass ihnen die Navigation derzeit etwas erschwert wird.

00:05:38: In diesem Zusammenhang erinnert man sich an die Verhaftung von Saboteuren in Litauen.

00:05:43: Das geschah in einer Woche im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Sommer, im Deutschland und Großbritannien explodierten Pakete, die aus Litauen verschickt worden waren.

00:06:07: In den Paketen befanden sich Zechsspielzeug und selbst gebaute Bomben.

00:06:09: Nach Ansicht der Ermittler sollten

00:06:10: diese nicht in den Lagern, sondern in Flugzeugen explodieren, sobald diese den Luftraum überqueren.

00:06:13: Die Flugzeuge sollten abstürzen.

00:06:13: Marina, Sie haben von einer Antwort gesprochen.

00:06:16: Worum geht es dabei bzw.

00:06:18: was erwarten Sie vom Besten als Antwort auf solche Provokationen?

00:06:34: Ich denke, dass Vladimir Putin zwar meistens lügt, aber manchmal sagt er ja doch die Wahrheit.

00:06:38: Mit diesen Provokationen testet er meiner Meinung nach, inwieweit die NATO über diplomatische Fragen hinaus handeln kann.

00:06:45: Inwiefern ähnelt die aktuelle Situation, der mit Estland und Polen?

00:06:49: Es wurden Konsultationen gemäß Artikel vier des Bündnisses initiiert, die Gespräche zwischen den Verbündeten vorsehen.

00:06:56: Das sind wiederum rein diplomatische Maßnahmen.

00:06:59: Bisher ist keine Aktivierung von Artikel fünf vorgesehen, der eher so beschrieben werden könnte, wer einen angreift, greift alle an.

00:07:07: Putin scheint auszuloten, wie weiter gehen kann.

00:07:10: Solange keine Gespräche über die Aktivierung von Artikel fünf beginnen, will er offenbar zeigen, dass die NATO im Wesentlichen nur im Rahmen diplomatischer Missionen Gespräche und Konsultationen agiert.

00:07:22: Ich denke, es geht auch um praktische Ziele, die Reaktionen der Luftabwehr, die Reaktionsgeschwindigkeit der Verbündeten und die Erklärungen hochrangiger NATO-Vertreter.

00:07:41: Ich würde an dieser Stelle gerne unser Gespräch fortsetzen, doch sofort habe ich noch eine Frage an Maria.

00:07:48: Maria, unsere Kollegen aus dem Journalismus, haben sehr ausführlich über die Drohnenangriff berichtet.

00:07:54: Sie sind Psychologin und arbeiten unter anderem mit Geflüchteten.

00:07:59: Wie erleben diese Menschen die aktuelle Situation, welche Reaktionen beobachten sie?

00:08:04: Kann man in so eine Situation überhaupt von Normalität sprechen?

00:08:20: Natürlich ist das völlig unnormal.

00:08:22: Und für einen normalen Menschen ist Angst die normale Reaktion auf solche Ereignisse.

00:08:27: Denn der Krieg ist sehr nah, der Krieg findet faktisch in Europa statt.

00:08:31: Nun, manche mögen sagen, dass es nicht Europa ist, wenn es nicht die Europäische Union ist, aber es ist Europa.

00:08:37: Und es ist sehr beängstigend, dass der Krieg voranschreiten

00:08:40: wird.

00:08:40: Und damit wird Stendik Angst gemacht.

00:08:44: Und

00:08:44: klar, wenn etwas über einem fliegt und laut brummt, dann ist das erst mal bedrohlich.

00:08:48: Auch wenn niemand direkt verletzt oder getötet wird, bleibt diese Anspannung.

00:08:53: Soweit ich weiß, sind bei den Vorfällen bisher all am Leben geblieben.

00:08:57: Ich erinnere mich an einen Fall in Polen.

00:08:59: Da wurde ein Haus zerstört, aber die Menschen dort haben überlebt.

00:09:04: Trotzdem ist es sehr beängstigend, weil die Menschen daran gewöhnt sind, dass Demokratien

00:09:08: nicht Krieg führen,

00:09:09: dass das in Deutschland, Frankreich und Spanien in den letzten zehn Jahren nicht einmal den Anschein eines Krieges gegeben hat.

00:09:16: Und plötzlich

00:09:16: taucht er auf.

00:09:18: Das heißt, die Bedrohung scheint sehr real zu sein.

00:09:21: Die Menschen haben Angst.

00:09:23: Ich arbeite

00:09:24: zum Beispiel in Berlin mit Patientinnen aus der Ukraine und dann kommt eine Patientin zu mir und sagt,

00:09:30: ich

00:09:30: weiß gar nicht, ob ich meine Ausbildung in Deutschland überhaupt noch fortsetzen soll.

00:09:34: Ich

00:09:34: studiere, arbeite, will hier bleiben, aber was, wenn ich wieder fliehen muss?

00:09:39: Vielleicht sollte ich lieber einen ganz anderen Beruf lernen, nicht Management, sondern etwas Handwerkliches wie Elektrik.

00:09:45: Etwas,

00:09:45: das ich überall machen kann, unabhängig von der Sprache.

00:09:49: Denn wer weiß,

00:09:49: vielleicht

00:09:50: muss ich das nächste Mal nach New Zealand oder Argentinien.

00:10:04: Gibt es eine spurbare Reaktion von seit der NATO oder die EU?

00:10:09: Maria hat vorhin gesagt, dass diese Drohnen aus eine Mission der Angst sind, ja, aber wenn man an viele vergangene Kriege denkt, selbst an den aktuellen den Krieg gegen die Ukraine, damals wollte auch niemand glauben, dass es wirklich beginnt.

00:10:25: und oft beginnt es genauso, plötzlich.

00:10:28: Manche sagen, Putin testet ja nichts Konkretes, sondern einfach nur unsere Angst.

00:10:34: Es geht weniger um militärische Wirkung, sondern darum, Angst zu erzeugen und zu beobachten, wie wir reagieren.

00:10:42: Was denken Sie?

00:10:43: Kann man das einfach so hinnehmen?

00:10:45: Oder muss man jetzt langsam konkret handeln?

00:10:48: Denn vielleicht bleibt es nicht nur bei aller Angst.

00:10:51: Vielleicht ist das bereits der Anfang von etwas Größerem, einem nächsten Schritt vielleicht sogar eine neue Form der Invasion.

00:11:03: Das kann man aber nicht einfach so stehen lassen, denn Putin wartet darauf.

00:11:07: Er wartet darauf, dass sich die europäische Gemeinschaft in bürokratischen Diskussionen über eine Antwort verstrickt und es am Ende keine echte Antwort geben wird.

00:11:17: Kurz gesagt ist klar, dass es eine undankbare Aufgabe ist, sich mit der Interpretation von Putins Gedanken zu beschäftigen.

00:11:26: Aber ich denke, das ist es.

00:11:28: was er erwartet.

00:11:32: Und so ist es jetzt, glauben Sie, dass es genug Reaktion gibt?

00:11:43: Ich würde sagen, es könnte durchaus schneller gehen.

00:11:46: Eine Reaktion gibt es natürlich, das sieht man.

00:11:49: Und ich habe den Eindruck, dass diese Reaktion mit jedem neuen Vorfall etwas schneller und klarer wird.

00:11:56: Hätte so etwas vor einem Jahr stattgefunden, bin ich sicher, dass die Diskussion und Bewertungen deutlich länger gedauert hätten.

00:12:03: Aber mit jedem Monat wird die Bedrohung durch Russland offensichtlicher.

00:12:08: Nicht mehr.

00:12:09: militärisch, sondern auch im Informationsraum.

00:12:13: Man denke zum Beispiel an bestimmte Operationen während wichtiger Ereignisse, wie etwa den Wahlen in Polen.

00:12:20: Damals wurde ein ganzes Netzwerk von gefälschten Webseiten aufgebaut, die seriöse Medien imitierten.

00:12:27: Dabei wurde eine Technik genutzt, man fälscht etwa die IP-Adresse oder nutzt einen fast identischen Domain-Namen.

00:12:35: Zum Beispiel glaubt man, man sei auf der Seite von der Spiegel, weil die Adresse sehr ähnlich aussieht, vielleicht Spiegel.

00:12:44: Das Design, die Schrift, alles wirkt vertraut, aber der Inhalt erzählt etwas völlig anderes.

00:12:53: Oder es wird nur eine einzige Zahl verändert, aber diese Zahl verdreht den ganzen Kontext.

00:13:12: Ich bin der Meinung, dass auf diplomatischer Ebene derzeit praktisch alles getan wird, was möglich ist.

00:13:17: Als Nicht-Diplomaten und Journalisten kann ich mir jedenfalls keine größeren Optionen vorstellen.

00:13:22: Es ist offensichtlich, dass Drohnen und NATO-Kampfflugzeuge nicht über Russland fliegen werden.

00:13:27: Alles, was derzeit möglich ist, ist, Konsultationen zu initiieren, und an der eigenen Verteidigung in der Praxis zu arbeiten.

00:13:35: Deshalb wird vor allem von Polen mit etwas finanzielle Unterstützung der NATO daran gearbeitet.

00:13:41: Auch Fonds der Europäischen Union sind daran beteiligt.

00:13:45: Der östliche

00:13:45: Schutzschild ist eine mehrstufige Verteidigungslinie, die auch bodengestützte Mitte umfasst, aber in erster Linie wird er eine Luftabwehr umfassen, die gegen Drohn helfen wird.

00:13:56: Denn die bisherigen Luftabwehrsysteme, die in ganz Europa aufgebaut wurden, waren nicht für solche Kriege ausgelegt, wie sie derzeit zwischen Russland und der Ukraine geführt werden.

00:14:05: In dieser Hinsicht hilft die Erfahrung der Ukraine Polen sehr dabei, sich zu schützen.

00:14:10: Jede Woche reisen europäische Berater in die Ukraine, um zu verstehen, welche Ausrüstung für den Bau des Schildes erforderlich ist.

00:14:19: Was die baltischen Länder betrifft, so wird das System Eastern Guard aufgebaut, dass sich noch mehr als der östliche Schutzschild zu einem größeren Prozentsatz auf die Luftabwehr und den Schutz von Kampfflugzeugen und Drohnen konzentriert.

00:14:32: Und nur solche Verteidigungsmaßnahmen sollten ergriffen und der Aufbau beschleunigt werden.

00:14:53: Ich möchte nicht, dass ständig die Illusion erzeugt wird, Europa sei so weich, dass unsere Demokratie es uns nicht erlaubt hat, angemessen auf ein Aggressor zu reagieren.

00:15:02: Das würde ja bedeuten, ihm mit derselben Faust ins Gesicht zu schlagen.

00:15:05: Und was würde dann passieren?

00:15:07: Der Konflikt könnte eskalieren.

00:15:09: Was würde die russische Seite dann behaupten?

00:15:12: In Moskau würde man sagen, Europa habe Russland angegriffen.

00:15:16: Kreml behauptet doch, die Ukraine habe Russland angegriffen.

00:15:20: Genauso wurde vor Jahren behauptet, Georgien habe Russland angegriffen.

00:15:24: Jetzt könnte man sogar behaupten, Polen oder Estland hätten Russland angegriffen.

00:15:28: Etwa die erstensste Stadt Nahe war.

00:15:31: Ich

00:15:31: sehe förmlich wie der Kreml, das in seiner Propaganda ausschlachten würde.

00:15:35: Dort sind tausende Menschen von morgens bis abends dieser Propaganda ausgesetzt.

00:15:40: Propaganda

00:15:40: darf man nicht unterschätzen.

00:15:42: Man muss sie sehr ernst nehmen.

00:15:44: Denn was ist Propaganda?

00:15:46: Es ist die wiederholte Präsentation von Informationen, die, ob wir wollen oder nicht, neue neuronale Verbindungen in uns bildet.

00:15:55: Man kann uns eine bestimmte Packung Saft zeigen.

00:15:57: Diese Werbung kann uns nerven.

00:16:00: Wenn sie uns aber oft genug gezeigt wird, werden wir den Saft im Laden eher kaufen.

00:16:04: So

00:16:04: ist es auch hier.

00:16:06: Ich persönlich kann dagegen sein.

00:16:08: Wenn ich jedoch ständig Propaganda aus allen Medien höre, beginnen sich neuronale Verbindungen zu bilden.

00:16:15: Das ist die Physiologie unseres Gehirns und deshalb sind wir uns später in nichts mehr sicher.

00:16:20: In Russland ist es auch beängstigend.

00:16:23: Nur muss man diese Angst verdrängen.

00:16:25: Alle psychologischen Abwehrmechanismen der Menschen sind jetzt aktiviert.

00:16:29: Das heißt, wir geben bestimmte Ängste zu, falten uns aber als gäbe es keinen Krieg.

00:16:34: Ja, wir gehen ins Theater, zu Konzerten und so weiter.

00:16:37: Und irgendwo in uns, in unserem neuronalen Netzwerk, ist die Information über den Krieg gespeichert.

00:16:43: Irgendwann

00:16:43: wird es uns auch unheimlich.

00:16:45: Das

00:16:46: ist sehr schwer vorherzusagen.

00:16:55: Lange Zeit sogar noch vor dem Krieg in der Ukraine waren Stimmen aus Ukraine, aber auch kritische Stimmen aus Russland oder dem Baltikum in Westeuropa kaum zu hören.

00:17:07: Heute Jahre nach Beginn des Krieges leben sie selbst in verschiedenen europäischen Ländern.

00:17:12: Sie haben dadurch viele Erfahrungen gesammelt, haben sie inzwischen auch einen anderen Blick auf Russland und die russische Politik.

00:17:19: Was denken Sie?

00:17:20: Wo liegen die große Misterständnisse heute?

00:17:32: Ich lebe in Litauen.

00:17:33: Ich kann so pauschal nicht sagen, dass die Bedrohung durch Russland hier unterschätzt wird.

00:17:38: Im Gegenteil.

00:17:39: Litauen ist meiner Meinung nach eines der europäischen Länder, das die Gefahr von Anfang an sehr klar erkannt und benannt hat.

00:17:47: Schon lange vor dem großflächigen Überfall auf die Ukraine hat Lettha und die Ukraine konsequent unterstützt.

00:17:54: politisch, gesellschaftlich und rhetorisch.

00:17:57: Und auch jetzt reagiert die litauische Regierung sehr verantwortungsvoll und entschlossen auf die aktuellen Herausforderungen.

00:18:06: Ein Beispiel, es wurde eine App zur zivilen Alarmierung entwickelt, für den Fall, dass es wirklich zu einer ernsten Lage kommen sollte.

00:18:15: Über diese App soll die Bevölkerung zuverlässig und aus einer gesicherten staatlichen Quelle informiert werden, damit man nicht auf Falschmeldungen oder manipulierte Websites hereinfällt.

00:18:27: Außerdem werden Luftschutzbunker inspiziert und auf ihre Einsatzfähigkeit überprüft.

00:18:33: Als jemand, der in Litauen lebt, kann ich sagen, die Regierung nimmt die Bedrohung durch Russland sehr ernst und reagiert mehr als angemessen.

00:18:50: Ich

00:18:50: lebe in Estland und kann sagen, dass es auf staatlicher Ebene und in der offiziellen Linie des Landes eine große Übereinstimmung mit Litoren gibt.

00:18:58: Ein erheblicher Teil des estnischen BIP wird in die Landesverteidigung investiert und das ist im Alltag spürbar.

00:19:05: Estland nimmt die Bedrohung durch Russland sehr ernst.

00:19:08: Die Gesellschaft selbst ist allerdings wie überall heterogen und das ist auch gut so.

00:19:13: Meines Wissens gibt es keinen groß angelegten sociologischen Studien zu diesem Thema, aber mein persönlicher Eindruck ist, ein kleiner Teil der Bevölkerung, aus sehr unterschiedlichen Gründen, tut sich schwer damit, die reale Bedrohung durch Russland vollständig anzuerkennen.

00:19:29: Ich würde nicht sagen, dass das automatisch pro-russische Haltungen sind, aber es gibt eben Menschen, die die Gefahr herunterspielen oder nicht wahrhaben wollen.

00:19:37: Und genau das ist seit etwa dreieinhalb Jahren ein wiederkehrender Streitpunkt in der estnischen Gesellschaft, besonders sichtbar in den sozialen Netzwerken.

00:19:46: Natürlich betrifft das nur einen kleinen Prozentsatz der Bevölkerung, aber es ist ein auffälliger Anteil, der die Bedrohung durch Russland grundsätzlich infrage stellt oder leugnet.

00:19:56: Ein Beispiel dafür war der Vorfall nach dem Sommer, als es Drohnen- und Kampfjet-Aktivitäten im ethnischen Luftraum gab.

00:20:03: Viele Menschen haben mir dazu Nachrichten geschickt, vor allem ältere Personen, und behauptet, es handele sich um eine Fälschung.

00:20:09: inszeniert von der estnischen Regierung.

00:20:12: Manche glaubten der Darstellung des russischen Verteidigungsministeriums, das von einem neutralen Luftraumsprach und einer Luftraumverletzung bestritt.

00:20:22: Einige dieser Stimmen vertreten sogar die Meinung, die estnische Regierung nutze solche Vorfälle bewusst, um höhere Verteidigungsausgaben zu rechtfertigen und mehr Aufmerksamkeit sowie Ressourcen von der NATO zu erhalten.

00:20:35: Nach dieser Lesart gehe es Estland nicht nur um Sicherheit, sondern auch darum gezielt politische und finanzielle Unterstützung einzuwerben, quasi als Geschäft mit der Bedrohung.

00:20:45: Ich sage ausdrücklich, dass es nicht die Mehrheit, aber es gibt diese Meinung und sie ist in der öffentlichen Debatte präsent.

00:21:05: Mit anderen Worten kommt diese kritische Haltung daher, dass die Menschen unzufrieden sind, weil sie selbst wirtschaftliche Unterdrückung stellen.

00:21:14: Und weil sie sehen, dass viel Geld ins Militär geht, aber weniger ins Sozialleistungen, Bildung oder Gesundheitsversorgung.

00:21:23: Ja, ja, ja, das ist so, weil die Krise in Europa, in der Nordeuropa...

00:21:31: Ja, absolut.

00:21:33: Das trifft zu hundert Prozent zu.

00:21:35: Die Krise ist in ganz Europa spürbar, aber in Osteuropa vielleicht am deutlichsten.

00:21:39: Viele Menschen bringen ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten direkt mit den hohen Verteidigungsausgaben in Verbindung.

00:21:45: Und genau das projizieren sie auf die politische Situation.

00:21:48: Hinzu kommt ein psychologischer Aspekt.

00:21:51: Viele Menschen möchten einfach nicht glauben, dass ein realer Krieg oder eine militärische Eskalation überhaupt möglich ist.

00:21:58: Es ist deutlich einfacher zu glauben, dass die Regierung übertreibt oder Panik schürt.

00:22:02: Ich denke, das ist eine Art Selbstschutzmechanismus, eine psychologische Strategie, um mit der Angst umzugehen.

00:22:09: Gleichzeitig spielt russische Propaganda nach wie vor eine große Rolle, vor allem in den sozialen Netzwerken.

00:22:14: Die Trollfabriken in Russland sind weiterhin aktiv.

00:22:17: Es gibt auch viele Provokateure innerhalb Estlands, die gezielt Desinformation verbreiten, vor allem über Facebook, im Kommentaren oder in offenen und geschlossenen Gruppen, wo solche Gerüchte und Narrative verstärkt werden.

00:22:30: Diese Inhalte werden aktiv unterstützt und zum Teil direkt aus Russland gespeist.

00:22:34: Das ist auch Thema in der ethnischen Öffentlichkeit.

00:22:37: Die Existenz der Trollfabriken ist bekannt und viele Menschen, die Mehrheit, würde ich sagen, betrachten diese Propagande durchaus kritisch.

00:23:06: Ja, ich möchte noch etwas ergänzen.

00:23:08: Die meisten Menschen beschäftigen sich im Alltag nicht besonders intensiv mit Politik.

00:23:13: Und das ist auch verständlich.

00:23:14: Sie wollen einfach in Ruhe leben, wünschen sich Stabilität und Vorhersehbarkeit.

00:23:19: Sie möchten wissen, dass das Brot morgen genauso viel kostet wie heute.

00:23:22: Dass sie Kinder bekommen und sich sicher sein können, dass diese Kinder aufwachsen, zur Schule gehen, vielleicht studieren.

00:23:28: Oder später einfach so leben können wie ihre Eltern.

00:23:32: Eltern wünschen sich vor allem Eins, Sicherheit und Planbarkeit.

00:23:36: Aber

00:23:36: ständig Nachrichtenlesen, sich mit politischen Zusammenhängen auseinandersetzen, das macht die Mehrheitsschlicht weg

00:23:42: nicht.

00:23:43: Und genau an diesem Punkt setzen die Treu-Fabriken an.

00:23:46: Sie bieten extrem einfache Erklärungen an.

00:23:49: Fast

00:23:49: schon Plattebehauptungen.

00:23:51: Die ehestische Regierung ist schlecht.

00:23:53: Die nehmen

00:23:53: uns alles weg.

00:23:54: Die übertreiben nur, um sich selbst zu bereichern.

00:23:57: Solche einfachen Erzählungen sind leicht zu verstehen und leider auch leicht zu glauben.

00:24:02: Im Kern geht es um politische Bildung.

00:24:05: Die große

00:24:06: Frage ist, wie schaffen wir es, Menschen so zu erreichen, dass sie erkennen, wie nahe Politik tatsächlich an ihrem Alltag ist.

00:24:13: Politik ist nicht etwas abgehoben, was nur in Parlamenten und Regierungssitz passiert.

00:24:18: Politik bestimmt am Ende mit, wie viel das Brot morgen kostet, ob mein Kind ein Schulplatz bekommt oder ob die Schule nicht gebaut wird, weil das Geld fehlt.

00:24:28: Wenn man gezielt in politische Bildung investiert, können Menschen besser lernen, Fake News von echten Informationen zu unterscheiden.

00:24:35: Aber das Tempo, mit dem sich soziale Netzwerke und neue Informationskanäle entwickeln, ist so hoch, dass wir kaum hinterherkommen.

00:24:43: Wir sind evolutionär nicht darauf vorbereitet, täglich mit einer solchen Informationsflut

00:24:47: umzugehen.

00:24:49: Früher

00:24:50: saßen Wissenschaftler in Bibliotheken und arbeiteten

00:24:52: mit

00:24:52: Informationen.

00:24:53: Heute sind es alle, ständig.

00:24:56: Und das meiste davon ist ungefiltert.

00:24:58: Mal geht es um Politik, dann wieder um Seehunde.

00:25:02: Unter Zwischentauchen gezielt platzierte Desinformationen

00:25:04: aus.

00:25:06: Der Informationsraum ist kaum reguliert und genau das wird

00:25:09: in den nächsten zehn

00:25:10: Jahren eine unserer wichtigsten Aufgaben sein.

00:25:13: Seine Sicherheit zu stärken und Menschen beizubringen, wie man mit Informationen veranfaltungsvoll

00:25:17: umgeht.

00:25:19: Ich glaube,

00:25:24: es ist das, was man in den Schulen und in den Städten arbeiten muss.

00:25:32: Ich bin dafür, dass Medienkompetenz ebenso wie die Arbeit mit Quellen und die selbstständige Beurteilung der Zuverlässigkeit von Quellen in Schulen eingeführt werden muss.

00:25:41: Denn die derzeit in der Welt geschaffenen Bedingungen zwingen die Menschen schlichtweg dazu, sich damit auseinanderzusetzen.

00:25:47: Andernfalls wird es mit jedem Jahr einfacher, das Bewusstsein der Menschen über das Internet zu manipulieren, wenn keine entsprechende Ausbildung erfolgt und keine Orientierung an zuverlässigen Quellen stattfindet.

00:25:59: Ich sehe sogar wie junge Menschen, die fünfzehn Jahre... als ich, sich ebenfalls nicht mehr in den Quellen zurechtfinden und mit der Entwicklung des Informationskrieges nicht mehr Schritt halten können.

00:26:24: Ich danke Ihnen herzlich für Ihre wertvolle Kommentare, meine Gäste waren Arina Gocemarova, Russische Journalisten in Tallinn, Estland, Alexander Wostrov, Journalist beim Belarusischen Investigativzentrum in Vilnius, Litauen und Maria Sabuneiva, Psychologin aus Berlin.

00:26:45: Unsere nächste Podcast erscheint wie gewohnt am letzten Tag des Monats, also Ende Oktober.

00:26:51: Wiedersehen und tschüss!

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.